Zu den Farbkörpern von Eduard Tauss
Michael Post, Heiner Thiel
Im Rohzustand nehmen wir Farben als Körper wahr, seien es Anhäufungen reiner Pigmente oder deren Einbindungen in diverse flüssige bis zähflüssige Medien. Dies ist deswegen so bemerkenswert, weil sie in einem Zustand der Weiterverarbeitung nicht nur ihr Volumen zu Gunsten einer eher flächigen Erscheinungsform ausdehnen sollen, sondern auch fast ausschließlich für den Zweck einer solchen Weiterverarbeitung hergestellt werden.
Mit den Graden ihrer Verflüssigung wird ihre funktionale Bestimmung festgelegt und es ergibt sich eine erhebliche Bandbreite von Ausdehnungsmöglichkeiten, um Oberflächen einzufärben und deren Körper in einem anderen Lichte erscheinen zu lassen. Die grenzenlose Vielfalt von Farben, die in unterschiedlichen Konsistenzen zum Einsatz gebracht werden können, lässt sich allerdings in ihrer visuellen Wirkung am besten anhand der Malerei und der farbigen Skulptur in allen Epochen der Kunstgeschichte ablesen. Unsere Wahrnehmung von Bildinhalten, im Kontext der verschiedenen künstlerischen Absichten, wird maßgeblich durch deren farbmalerische Komponenten bestimmt. Diese verändern reale Körper, unterstützen die Vortäuschung dreidimensionaler Gegebenheiten im Tafelbild, definieren aber auch den konkreten Farbraum unserer Tage im Ausdruck einer dezidierten Flächigkeit.
In allen Ausprägungen dieser Phänomene ist es den jeweiligen Konsistenzen von Farbsubstanzen zu verdanken, in den unterschiedlichsten Bezügen von Malerei flexibel eingesetzt werden zu können, seien diese gegenständlicher, abstrakter oder konkreter Natur. Die materielle Existenz der Farbe ist an der Wirkung eines Gemäldes genauso beteiligt, wie umgekehrt der Farbe das Bildhafte immanent zu sein scheint. Hier knüpft Eduard Tauss mit seinen skulpturalen Farbsubstanzen an:
„Die Arbeiten von Eduard Tauss relativieren die tradierten Vorstellungen von Malerei, besonders die Erwartungen des Betrachters von einem Bild. Ihm geht es allerdings weniger um die höchst komplexe Realität der Farbe, sondern um den Prozess der Herstellung, um die Substanz des Materials, um die Beziehung zwischen Farbe und Stoff. Damit thematisiert er auf innovative Weise ein bisher kaum beachtetes, ontologisch aber elementares Problem. Der Unterschied zwischen der vom Licht bedingten Präsenz der Farbe und der kompakten Masse des Kunstharzes ist für Tauss Quelle der Inspiration.“1
Die Autonomie der Farbe, ein Begriff, der im Kontext der gegenstandsfreien Malerei entstanden ist, erfährt hier seinen Fortgang: Die Farbe hat sich sogar von ihrem Bildträger befreit und macht sich mittels ihrer eigenen plastischen Substanz zum Ausdruck ihrer selbst und zum Gegenstand ihrer Betrachtung im Raum.
Während des Herstellungsprozesses seiner Arbeiten kommen die für Tauss idealen Materialeigenschaften der in Kunstharz gebundenen Farben entgegen, um die geeigneten skulpturalen Formen zu finden: „Die Farbe wird nicht gemalt, sondern gegossen, sie ist zunächst eine dynamische Masse, die schließlich erstarrt. Das Gießen selbst ist ein Teil des Formalaktes. Die Transformation der anfänglich flachen Gussform in die plastische Form erfolgt im unmittelbaren Dialog mit dem Material.“2 In der Phase der Aushärtung ergeben sich Stadien, welche die Formgebung mittels Biegen, Falten, Drücken, Pressen oder Zwängen ermöglichen. Die Gestaltung muss materialbedingt zügig verlaufen und verlangt schnelles Reagieren. Die spontane Einflussnahme auf die formbare Masse durch persönliche Kraftausübung, bezieht hierbei den handelnden Körper mit ein. Den jeweiligen psychischen und physischen Voraussetzungen der Aktion schreibt Tauss einen performativen Charakter zu.
Im fertigen Zustand lassen sich bei seinen skulpturalen Wandstücken und vollplastischen Arbeiten Spuren der Einflussnahmen auf das spezifisch reagierende Material nicht nur deutlich nachvollziehen, sie sind vielmehr auch der Ausdruck eines in Erstarrung geratenen, ehemals zeitlich limitierten Handlungsablaufs. Den Gesetzen der Schwerkraft folgend, haben die Arbeiten, während sie noch weich sind, die Tendenz nach unten zu fließen, was bei Betrachtung der ausgehärteten Formen, vor allem wenn sie an der Wand hängen, Vorstellungen des Herunterlassens oder Fallens auslösen.
Was wir wirklich sehen, ist dreidimensional, auch die eingangs beschriebene Farbe in ihrem Rohzustand. Die Transformation dieses Materials in den beschriebenen Kontext der Kunst setzt die Erkenntnis voraus, dass das für unsere Wahrnehmung prägende Phänomen der Malerei, nämlich sich gewöhnlich auf zweidimensionalen Flächen zu entfalten, auf paradoxe Weise in seine plastischen Arbeiten Einzug hält und mit ihnen verschmilzt.
_____________________________________________________________________________
1 Heinz Gappmayr: Eduard Tauss, Katalog, edition ps, Wien, 2003, S. 14.
2 Michael Post und Heiner Thiel im Gespräch mit Eduard Tauss im Atelier des Künstlers, 2013, Wien.
On the Colour Bodies by Eduard Tauss
Michael Post, Heiner Thiel
In their raw state, we perceive colours as bodies, in the form of mere pigment accumulations or of pigments bound in a range of liquid to viscous media. This is quite remarkable because colours are actually meant to expand their volume when processed to acquire a more planar appearance and – moreover – are also produced almost exclusively for the purpose of that type of processing.
The extent of their liquefaction defines the future function of colours, and a considerable range of expansion options are available for colouring surfaces to let their bodies appear in a new light. The visual effects of the unlimited variety of colours which can be applied in differing consistencies can best be appreciated in the paintings and coloured sculptures of all epochs in the history of art. Our perception of pictorial contents in their context of differing artistic intentions is shaped decisively by their colour-painted components. Colour changes real bodies, supports the feint of three-dimensional facts in panel paintings – and it also defines the real colour spaces of our time in their decidedly planar manifestations. In all the different types of these phenomena, the respective consistencies of the colour substances is what permits using them flexibly in the most diverse painterly genres, be they representational, abstract or concrete. The physical presence of colour participates in the effect of a painting just as, in turn, the pictorial appears to be immanent in colour. This is the starting point of Eduard Tauss’s sculptural colour substances:
“The works by Eduard Tauss relativise traditional conceptions of painting and, in particular, viewers’ expectations as to what constitutes a picture. But he is less concerned with the highly complex reality of colour than with the process of its production, the substance of its material and the relationship between colour and materials. In an innovative form, Tauss addresses a problem that has so far found little attention, but in fact presents an elementary ontological problem. The difference between the presence of a colour conditioned by light and the compact mass of the synthetic resin is a source of inspiration for Tauss.”¹
The autonomy of colour, a concept that emerged in the context of nonrepresentational painting, is taken one step further here: Colour has even emancipated itself from its picture substrate, turning itself into an expression of itself and an object for perception in space through its own plastic substance. In creating his works, Tauss is supported in finding the appropriate sculptural forms by what he regards as the ideal physical properties of colours bound in synthetic resin: “The colour is not painted, but cast. It is at first a dynamic mass, which ultimately solidifies. Casting is itself part of the act of forming. The transformation of the initially flat cast form into the plastic form takes place in direct dialogue with the material.”² During the phase of hardening, there are stages which permit forming by bending, folding, pushing, pressing or forcing. The nature of the material requires fast conformation and swift reactions. The spontaneous influence on the formable mass by exertion of personal force involves the acting body in the process. Tauss ascribes a performative character to the respective psychical and physical preconditions of the creative act. In their finished state, his sculptural wall objects and fully plastic works not only render traces of the actions on the material and its specific reactions clearly apparent. They are themselves the expression of a past temporary course of action that has solidified. Based on the laws of gravity, the works tend to flow downward while still soft, which evokes notions of lowering or falling when viewing the hardened forms, especially if they hang on a wall.
What we really see is three-dimensional, like colour in its raw state described at the start. The transformation of this material in the described artistic context presumes the recognition that the phenomenon of painting which appears constitutive for our perception, i.e. that it usually unfolds on two-dimensional surfaces, enters into Tauss’s works in a paradoxical manner and coalesces with them.
_____________________________________________________________________________
1 Heinz Gappmayr: Eduard Tauss, exh. cat., edition ps, Vienna, 2003, p. 14.
2 Michael Post and Heiner Thiel in conversation with Eduard Tauss in the artist’s studio, 2013, Vienna.