Prozess – Farbe – Form

Prozess – Farbe – Form

Florian Steininger
Direktor Kunsthalle Krems

 

Farbe in ihrer materiellen Natur ist zentrales Thema in Eduard Tauss’ künstlerischem Schaffen. Im Unterschied zur deutschen Sprache wird im Englischen zwischen „Colour“ als optischem Wert und „Paint“ als materieller Beschaffenheit differenziert. Eduard Tauss ist Painter/Maler im prozessual-formalen Sinne. Aktion und Substanz führen zu Form und Werk. Auf den mit Folie abgedeckten Atelierboden gießt der Künstler die flüssige, mit Farbpigment gemischte Polyurethanmasse. Leisten oder Latten dienen als flexible Gussform. Der Akt des Gießens ist jedoch keine auktorial-expressive Geste, sondern ein sachlich-prozessualer Vorgang.

Jackson Pollocks Ergüsse aus den Farbkannen oder Hermann Nitschs brachiale Schüttungen auf dem Bildträger resultieren aus einer psychischen Bewegtheit und einer körperlich-aktionistischen Kraft, ein aktives Markieren auf der Leinwand. Andy Warhol hat hierauf mit seinen Piss Paintings reagiert, indem Assistenten des Pop-Art-Künstlers auf den Bildträger urinierten und die kupferhaltige Farbe oxidierte. Tauss nimmt sich hingegen in seinem körperlich-gestischen Duktus auf ein Minimum zurück und lässt die Farbe ausfließen, sich innerhalb der Begrenzungen frei verteilen. Hierbei sei an Helen Frankenthalers Soak-Stain-Gemälde im Colour-Field-Painting-Stil verwiesen. Inspiriert wurde Frankenthaler von Jackson Pollocks Drip Paintings, vor allem den Black and White Paintings von 1950/51, deren ungrundierte Leinwand die geschüttete und getropfte schwarze Farbe vollends wie in einer Tuschezeichnung aufsog. Im Oktober 1952 malte Frankenthaler in ihrem New Yorker Atelier Mountains and Sea, indem sie die auf dem Boden ausgerollte, unbehandelte Leinwand mit verdünnter Ölfarbe beschüttete und die Farb-Lachen das Textil tränkten. Morris Louis und Kenneth Noland besuchten die junge US-amerikanische Malerin und waren überwältigt von ihren bahnbrechenden Soak-Stain-Bildern. Darauf entwickelten sie ihren spezifischen Colour-Field-Painting-Stil, indem die Farbe in großen Feldern die Leinwand benetzte. Sie ließen der Farbe ihren freien Lauf, lösten sich von der körperlichen Expressivität der Action Painter. Nun handelt es sich bei all den genannten Positionen um klassische Gemäldeformen. Das Fließen und Schütten verdichtet sich zu einer Malereifläche innerhalb des Bildgevierts, das auf den Keilrahmen gespannt wird. Oben, Unten, Links und Rechts werden festgelegt und schlussendlich wird das Bild an die Wand gehängt.

Eduard Tauss hingegen verlässt das klassische Bildfenster als rektanguläre Form, indem die geschüttete Farbe eine organische, plastische Form annimmt. Sie kann flache Lache sein oder körperlich-skulpturale Gestalt annehmen, indem der Künstler nach dem Schüttvorgang die Substanz, bevor sie aushärtet, formt und verformt. Assoziationen mit Körperteilen und Hautoberflächen treten auf, ohne dass der Künstler das Werk motivisch oder inhaltlich aufladen möchte. „Ich will keine Geschichte erzählen.“1 Die Werke sind autonome Existenzen – Artikulationen von Malerei. Die flachen Malerei-Lachen können wie ein Bild an die Wand gehängt oder, im Sinne ihrer Entstehung, auf dem Boden oder auf einem Sockel platziert werden. Im Unterschied zu den Colour-Field-Paintings von Frankenthaler und Louis sind Tauss’ gemalte Oberflächen nicht transluzid, optisch illusionistisch, sondern opak, wie eine Haut. Der Künstler verwendet gedeckte Farben ohne poppigen Glanz, er verschließt das imaginäre Fenster der Malerei. Farbe ist Masse und Materialität. In der klassischen Malerei waren materielle Anhäufungen auf der Leinwand verpönt. Rembrandts und Courbets pastos-schmieriger Auftrag wurde von akademischer Warte aus als schmutziges und schlampiges Gekleckse kritisiert. Die Farbe sollte sich der illusionistischen Wiedergabe von Figur und Wirklichkeit als optisches Mittel unterordnen. In der Moderne wurde das Wesen der Malerei analysiert, wobei die Farbe als materielle Substanz an Bedeutung gewann – wie etwa van Goghs pastose Pinselstriche. So malte Alexander Rodtschenko 1921 drei Gemälde in den drei Grundfarben. Es ging um die Faktur, die malerische Oberflächenbeschaffenheit und Materialität und nicht um die Optikalität. Robert Ryman, Joseph Marioni oder Brice Marden folgten in der Nachkriegsmoderne diesem Primat der Materialität. Eduard Tauss’ Malereien zeugen aufgrund ihrer materiellen Natur und prozessualen Geformtheit, die Parallelen zum Postminimalismus aufweisen, von einer gewissen skulpturalen Qualität. Richard Serra spritzte flüssiges Blei in die Raumecken, das sich zu skulpturalen Spuren verfestigte, Eva Hesse spann in Reaktion auf Pollocks kosmische Drip-Painting-Netze mit Schnüren ein Gewebe im Raum und Robert Morris schuf Antiforms, schlaff herabhängende Filzmatten an der Wand.

Im Wechselverhältnis zwischen Produktion und Analyse erschafft Eduard Tauss autonome Farb-Formen, die sich in ihrer malerischen Natur behaupten.

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1  Florian Steininger im Gespräch mit Eduard Tauss im Atelier des Künstlers, März 2022, Wien.